Sommerhaus, später by Hermann Judith

Sommerhaus, später by Hermann Judith

Autor:Hermann, Judith [Hermann, Judith]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-10-403402-7
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2014-07-17T16:00:00+00:00


Sie hätte dir gefallen, diese kleine Frau. Sie war so unantastbar, wie du es immer geliebt hast, sie war ganz fern, und man konnte sie betrachten und sich Geschichten über sie ausdenken. Sie sah verletzlich aus und schön, sie hatte ganz winzige Füße, und sie war so unwirklich in diesem Foyer, auf diesen Marmorplatten, unter dem Licht des Kronleuchters. Christiane verließ die Tanzfläche und ging an die Bar. Der Regisseur stellte sich neben sie, er sah seine Frau nicht an, er sah Christiane an, die bestellte ein großes Glas Whisky. Die kleine Frau tanzte weiter, und ich wußte, daß der Stein unter ihren Füßen sehr kalt war. Markus Werner sah mich an und sagte: »Wollen wir uns unterhalten«, ich sagte: »Nein.« Er stand auf und ging weg. Ich trank weiter, für mich. Es wurde sehr spät. Ich konnte den Schnee sehen hinter den großen Scheiben, dicke, sacht fallende Flocken. Irgendwann torkelte Markus Werner zwischen den Säulen herum, er war völlig betrunken und hatte – weiß der Himmel woher – ein Megaphon in den Händen, er schrie durch das Megaphon immer dasselbe, ich konnte nicht ein Wort verstehen. Ich lehnte meinen Kopf an das Treppengeländer und beobachtete ihn. Ich dachte daran, daß ich ihn noch nie am Tag gesehen hatte, und ich fragte mich, ob ich mehr über ihn wissen wollte, als daß er im Winter diesen Pelzmantel und im Sommer die orangenen Jacken der Müllmänner trug. Er ging drei Mal in der Woche mit mir und Christiane aus, ich mochte ihn, hätte ich je von ihm gesprochen, ich hätte tatsächlich gesagt: »Ein Freund.« Nahm ich ihn ernst? Nahm er mich ernst, wollte er etwas, wenn er sich mit mir unterhalten wollte, worüber denn? Ich erinnerte mich daran, daß er einmal, sehr kindlich, gesagt hatte: »Ich könnte einen Film machen, über uns«, ich hatte gesagt: »Was sollte das für ein Film werden«, er hatte geantwortet: »Ein Film darüber, daß gar nichts ist, daß es nichts mehr gibt, nichts zwischen uns und nichts um uns herum, nur so eine Nacht mit dir und mir und Christiane«, und ich hatte wirklich abfällig gelacht. Ich beobachtete ihn, er war viel zu jung, er war bekokst und besoffen, er brüllte in sein Megaphon, daß ihm die Halsschlagader anschwoll, und die Leute gingen ihm aus dem Weg. Er tat mir leid, und ich dachte, daß ich ihn nie, nie mehr wiedersehen wollte. Ich unterdrückte den Impuls, aufzustehen, zu ihm hinüber zu gehen, ihm dieses Megaphon wegzunehmen und ihn zu küssen. Auf dem Stern in der Mitte der Tanzfläche hockte ein Mädchen und schlug immerzu den Kopf auf den Boden, ihre Stirn war blutig, und sie weinte und redete wirres Zeug. Das Buffet war leer. Auf dem roten großen Sofa vögelte eine Schauspielerin mit einem Bühnenarbeiter, der Bühnenarbeiter schwitzte und auf dem Rücken seines T-Shirts, an dem die Schauspielerin wie verzweifelt riß, war Mike Tyson abgebildet, der Holyfield ins Ohr biß. Die kleine Frau war weg, der Regisseur war weg, Christiane war weg. Es schneite noch immer



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